"Sorry, Tifosi": Wie es in Imola zum kolossalen Ferrari-Strategiefehler kam

Ferrari leistet sich beim WEC-Heimspiel in Imola einen kolossalen Strategiefehler und verliert damit den sicher geglaubten Sieg - Wie erklärt sich der Mega-Fauxpas?

(Motorsport-Total.com) - Ferrari verschenkt bei den 6 Stunden von Imola einen sicheren Sieg, weil sich die Italiener einen kolossalen Strategiefehler leisten: Als es beim zweiten Saisonlauf der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) zu regnen beginnt, bleiben alle drei Ferrari 499P von AF Corse mit Slicks auf der Strecke, während die Konkurrenz auf Regenreifen wechselt. Am Ende ist der Sieg futsch - und Ferrari beim Heimspiel in Italien der große Verlierer!

Titel-Bild zur News: Antonio Fuoco, Miguel Molina, Nicklas Nielsen

Ferrari verschenkt den Sieg wegen eines Strategiefehlers Zoom

Wie konnte es passieren, dass Ferrari nicht auf die Konkurrenz reagierte und ebenfalls auf Regenreifen wechselte? Und warum haben die Italiener, die drei heiße Eisen im Feuer hatten, ihre Strategie im Rennen nicht aufgeteilt? "Ich habe die Informationen gesehen, die wir auf unserer Seite hatten. Sie waren offensichtlich falsch", gibt Giuliano Salvi, offiziell als 'Ferrari Endurance Race Cars Race & Testing Manager' bezeichnet, zu.

Denn: Ferrari ging fest davon aus, dass es sich bei dem nach dreieinhalb Stunden einsetzenden Regen nur um einen "vorübergehenden" Schauer handelt. Auch die Fahrer berichteten, dass es im letzten Sektor zwar "kritisch" war, die Situation auf dem Rest der Strecke allerdings "beherrschbar" blieb. "Doch dann hat sich die Situation nicht so entwickelt, wie sie hätte sollen", muss Salvi zugeben.

"Wir müssen unsere Kommunikationskette überdenken. Das ist sicher. Es war ein Fehler", findet der Italiener klare Worte. "Es war unsere Strategie, und wir wollen nicht mit dem Finger auf jemanden zeigen. Wir sind das gleiche Team, das im vergangenen Jahr als Anfänger in Le Mans gewonnen hat. Da haben wir alles richtig gemacht und waren die Helden, jetzt sind wir eine Null."

"Slick-Reifen auf feuchter Strecke hervorragend"

Der bestplatzierte Ferrari #50 (Fuoco/Molina/Nielsen) erreichte schlussendlich den vierten Platz und verpasste das Podium damit knapp. Der Ferrari #51 (Pier Guidi/Calado/Giovinazzi) wurde Siebter, der privat eingesetzte AF-Corse-Ferrari #83 (Kubica/Schwarzman/Ye) Achter, was immerhin zum Klassensieg bei den Privatteams reichte.

Anfangs lagen alle drei Ferrari 499P an der Spitze

Anfangs lagen alle drei Ferrari 499P an der Spitze Zoom

"Das Ergebnis war nicht so, wie wir es erwartet hatten, wenn man das große Potenzial bedenkt, das unsere 499P in den vorangegangenen Tagen gezeigt hatten", bilanziert Ferrari-Sportwagenchef Antonello Coletta. "Als der Regen einsetzte, wurde das Rennen durch den Fehler beeinträchtigt, die Strategien unserer drei Autos, die bis zu diesem Zeitpunkt geführt hatten, nicht zu verändern."

Ferrari glaubte, den Wechsel auf die Reifenreifen länger hinauszögern zu können als die Konkurrenz, weil der 499P "die Reifen besser ans Arbeiten bringt" und die Slicks auch auf feuchter Strecke offenbar gut funktionieren. "Wir wissen, dass die Leistung des Ferrari 499P auf Slick-Reifen bei feuchten Streckenbedingungen hervorragend ist", sagt Ferrari-Technikdirektor Ferdinando Cannizzo.

"Und selbst bei Nässe waren sie anfangs ziemlich gut, sodass wir versuchten, den Vorsprung auf unsere Konkurrenten auszubauen", erklärt der Ingenieur. "Am Ende haben wir jedoch die Wettervorhersage falsch eingeschätzt und eine späte Entscheidung getroffen, die das Gesamtergebnis beeinträchtigte."

Kein Vertrauen in die eigene Wettervorhersage!

Dabei spielte auch das Regenradar der Italiener eine entscheidende Rolle, denn offenbar sollte es nach Ferrari-Vorhersage schon deutlich früher und heftiger zu regnen beginnen. Das war allerdings nicht der Fall, was an den weiteren Vorhersagen zweifeln ließ.

Später traute Ferrari der eigenen Wettervorhersage nicht mehr

Später traute Ferrari der eigenen Wettervorhersage nicht mehr Zoom

"Wir hatten Informationen, die auf unserem Radar anzeigten, dass die Situation schlimmer war, lange bevor es passierte", verrät Salvi. "Und so fingen wir an, dem Radar nicht mehr zu glauben, denn wir hatten die Situation schon lange vor dem, was wirklich passierte, als falsch eingeschätzt."

Heißt: Ferrari hat der eigenen Wettervorhersage nicht mehr getraut! "Wir dachten, dass es diese Art von Situation ist, auf die man sich nicht zu sehr verlassen muss", gibt der Italiener zu. "Das war ein klarer Fehler, den wir noch verstehen müssen."

Warum macht Ferrari mit allen Autos den gleichen Fehler?

Unklar ist auch, warum Ferrari nicht versucht hat, die Strategie zwischen den drei Autos aufzuteilen. "Im Moment ist noch nicht klar, warum, denn wir hätten die Autos auf jeden Fall teilen sollen und wir haben es auch versucht, aber am Ende haben wir es nicht getan. Wir müssen verstehen, warum diese Art der Aufteilung nicht funktioniert hat", so Salvi.


Fotos: WEC 2024: 6 Stunden von Imola


"Im Moment kann ich Ihnen das nicht sagen, weil ich die gesamte Kommunikation überarbeiten möchte, denn es war nicht genug Zeit, um das zu sehen und zu verstehen", sagte der Ferrari-Ingenieur am Sonntagabend vor einer kleinen Gruppe von Medien, zu denen auch Motorsport-Total.com gehörte.

"Schon morgen Abend werden wir eine klarere Untersuchung dessen haben, was passiert ist", kündigt Salvi an. Bis dahin möchte sich der Italiener zunächst auf die positiven Aspekte des Imola-Wochenendes konzentrieren. "Es gibt nicht viel Positives, aber das Auto ist zumindest anders als in Katar, wo wir nicht konkurrenzfähig waren. Wir haben am Auto gearbeitet, und es sieht so aus, als ob sich das Auto, vor allem im Trockenen, gut verhalten hat."

Tatsächlich überzeugte Ferrari bis zum Regenschauer nach dreieinhalb Stunden mit einer fehlerfreien Leistung, nachdem sich AF Corse im Qualifying bereits eine souveräne Dreifach-Pole geholt hatte. "Das ist also etwas Positives, auf dem wir aufbauen müssen", freut sich Salvi. "Wie gesagt, wir haben letztes Jahr wahrscheinlich zu viel erreicht und gewonnen."

"Sorry, Tifosi! Es tut mir wirklich leid!"

"Es tut mir wirklich leid für die Tifosi, für alle unsere Leute auf den Hügeln von Imola und den Tribünen, das macht mich wirklich sehr traurig", ist Salvi enttäuscht. "Und ich glaube, alle Leute hier haben geweint. Es ist wirklich schade und tut mir leid für alle Fans, die uns unterstützt haben."

Am Ende gab's keinen Ferrari-Sieg für die 73.600 Zuschauer

Am Ende gab's keinen Ferrari-Sieg für die 73.600 Zuschauer Zoom

"Wir brauchen sie, um zu zeigen, dass man das besser machen kann. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir, so wie wir es letztes Jahr gezeigt haben, es auch dieses Jahr schaffen werden", sagt der Italiener. "Natürlich wollen wir uns nicht verstecken, denn das ist die Art und Weise, wie wir uns verbessern können."

"Zu der Enttäuschung gesellt sich das Bedauern, dass wir den vielen Fans, die nach Imola gekommen sind und einmal mehr ihre große Zuneigung zu Ferrari und ihre Leidenschaft für unser Engagement in der höchsten Langstreckenklasse gezeigt haben, nicht die verdiente Freude bereiten konnten", ergänzt Coletta.

"Vor den vielen Fans, die uns hier in Imola unterstützt haben, nicht auf dem Podium zu stehen, ist enttäuschend", muss auch Alessandro Pier Guidi zugeben. "Wir wissen um die Natur des Motorsports, wo Freude manchmal schnell in Enttäuschung umschlagen kann. Deshalb verlassen wir Imola im Bewusstsein unseres Potenzials und mit dem Wissen, dass wir uns weiter verbessern müssen."